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Perspektiven

Das Utopische Klo

  • Von Annette Schlemm und anderen

  • Skizziert die Befriedigung eines menschlichen Bedürfnisses ;-)

    Es folgt ein Auszug

    Ach ja, die Technik. Ich, das Utopische Klo, muss ja auch meine Funktion erfüllen. Die Zeiten der Löcher mit Brett sind wohl überall vorbei. Ich weiß noch, wie ich als Vielfalt von Ideen in den Köpfen meiner heutigen BenutzerInnen schwebte - viele Ideen kamen aus einer Datei aus dem Internet, in der eine Studentin Anfang des 21. Jahrhunderts in einer Studienarbeit so ziemlich alle in der Geschichte verwendeten Toilettenarten zusammen gestellt hatte. Meine Leute machten sich die meiste Arbeit damit, darüber nachzudenken, wie sie Arbeit einsparen könnten. Vor allem deswegen bin ich nicht vergleichbar mit den Klos vor der Großen Gesellschaftlichen Wende. Damals war die größte Sorge der Menschen ja verrückterweise nur ja nicht zu wenig Arbeit zu haben. Aber immerhin waren die technischen Ideen aus dieser Zeit bekannt und halfen auch heute noch meinen Leuten.

    Eine kleine Recherche im Internet ergab, dass es da eine Web-Seite namens "Klotopia" gibt, von der aus alles über Klo-Bauen und -verwenden recherchiert werden kann. Auch die Ergebnisse der Studentin war dort eingeflossen. Da saßen dann meine heutigen BenutzerInnen alle zusammen zuerst einmal vor der Web-Seite von Klotopia, bei der sie verschiedene Parameter eines möglichen Klos einstellen konnten. Lange haben sie da gesessen bis aus dem Bedürfnis nach einem neuen Klo so etwas wie ein Vorentwurf wurde. Und was es da nicht alles zu entscheiden gab! Die Fragen nach der äußeren Gestaltung waren da noch eher einfach zu lösen.

    Manche Bedürfnisse konnten überhaupt erst dann formuliert werden, als meine BenutzerInnen sahen, dass es eine technische Lösung für sie gab. So waren sie noch gar nicht auf die Idee gekommen, dass meine Benutzung durch kleine Kinder mit Hilfe besonderer Vorrichtungen vereinfacht werden könnte. Na ja, und weil sie eben kleine Kinder als mögliche DauernutzerInnen für mich vorsehen wollten, haben sie dann eine Reihe von Vorrichtungen in mich integriert, die ihrer Nachkommenschaft das Leben erleichtern sollten.

    Die Klotopia-Site unterstützte sie bei diesen Entwurfsüberlegungen dadurch, dass ständig Bilder von Modellen des gerade eingestellten Entwurfs verfügbar waren. Das half ihnen sehr, sich die Auswirkung der einen oder anderen Entscheidung vorzustellen. Der Höhepunkt war, dass sie diese Modelle sogar noch in ein Bild ihres eigenen Bades hineinmodellieren lassen konnten.

    Vor der Großen Gesellschaftlichen Wende soll so etwas ganz anders abgelaufen sein. Da gab es überhaupt keinen solchen Planungsprozess, sondern die Menschen, die ein Bedürfnis hatten, konnten lediglich in einen so genannten Sanitärmarkt gehen - im wesentlichen eine große, unfreundliche Halle. Dort wurden verschiedene, vorkonfigurierte Klos angeboten. Und für diesen bestenfalls halbwegs brauchbaren Mist haben die Leute damals sogar ihr über alles geliebtes Geld hergegeben...

    Nun ist meinen BenutzerInnen aber nicht jede Entscheidung für die Erfüllung eines bestimmten Bedürfnisses leicht gefallen. Penibel hat ihnen die Klotopia-Site nämlich für jeden ihrer Entwürfe ausgerechnet, wie groß der Energie- und Rohstoffbedarf für die Realisierung dieses oder jenes Wunsches wäre - sowohl was meine Produktion als auch was meinen Unterhalt betrifft. Eine ganz heftige Diskussion gab es darum, wie wichtig eine von sich aus schmutzabweisende Oberfläche ist, so dass es in Verbindung mit einer Wasserspülung einer Reinigung nur noch einmal jährlich bedarf. Leider ist so eine Oberfläche auch heute noch nur mit hohem Energieaufwand herzustellen, den einige meiner BenutzerInnen nicht aufwenden lassen wollten. Und auch der Hinweis darauf, dass doch mal ein paar Menschen ein wenig Hirnschmalz in eine Lösung dieses Produktionsproblems stecken sollten, half in der konkreten Situation leider nicht weiter. Zum Schluss konnten sich die Befürworterinnen der schmutzabweisenden Oberfläche - nur Frauen seltsamerweise - dann doch durchsetzen. Dafür haben sie dann eine etwas weniger aufwendige äußere Gestaltung hingenommen. Na ja, und so habe ich heute zwar eine schmutzabweisende Oberfläche und Wasserspülung aber dafür bin ich außen einfach nur weiß und nicht blau-metallic. Aber immerhin alle meine BenutzerInnen wissen ganz genau, warum das so ist.

    Auch früher muss es solche Diskussionen gegeben haben. Diese drehten sich dann allerdings nur um irgendwelche abstrakten Zahlen - wohl wieder dieses ominöse Geld - und nicht um konkreten Umwelt- oder Energieverbrauch. Klar, dass es bei den Leuten, die viel von diesem seltsamen Geld hatten, da nur wenig Diskussionen gab, während gerade in den Wohngruppen mit eher geringen Geldsummen solche Diskussionen zum permanenten Streit führten. Das muss ganz furchtbar gewesen sein. Manchmal frage ich mich, wie es die Menschen unter solchen Bedingungen überhaupt miteinander ausgehalten haben.

    Endlich waren dann alle Wünsche formuliert, alle Trade-Offs zwischen Umweltverbrauch und Bedürfnisbefriedigung ausdiskutiert und alle Entscheidungen getroffen. Zum Schluss waren auch alle meine BenutzerInnen mit der gefundenen, hochindividuellen und daher exakt passenenden Entscheidung einverstanden, da sie sich alle darin wiederfinden konnten. Vielleicht ist das ja auch der Grund dafür, dass sie alle besonders sorgsam mit mir umgehen?

    Jedenfalls ging es nach der Entwurfsphase jetzt zum nächsten Schritt meiner Entstehung. Der Entwurf, den meine BenutzerInnen mit Hilfe der Klotopia-Site erstellt hatten, wurde an die Leute geschickt, die die Site betrieben. Es gab ein paar Feinheiten beim Klo-Entwurf, die die Software noch nicht selbst abdecken konnte, so dass die Entwürfe nochmal von Fachleuten auf ihre Realisierbarkeit geprüft werden mussten. Zwar entwickelten die BetreuerInnen der Web-Site permanent die Software weiter, aber durch die ständige Kommunikation mit den potentiellen Klo-BenutzerInnen kamen ständig sowohl neue Bedürfnisse als auch Lösungen hinzu, so dass die Herausforderung eine möglichst benutzerfreundliche Klo-Entwurfs-Site zu entwickeln ständig bestehen blieb.

    Kein Vergleich übrigens mit dem, wie früher solche Entwürfe abliefen. Wie ich hörte, gab es da angeblich irgendwo ein paar einsame Ingenieure oder gar Firmenchefs, die genauso einsame Entwurfsentscheidungen fällten. Sicher hatten die zuweilen was drauf - aber sie hatten einfach schlechte Voraussetzungen: Sie hatten weder das kumulierte Wissen der NutzerInnen ihrer Entwürfe zur Verfügung, noch konnten sie mit den KollegInnen in anderen Firmen frei über die besten Lösungen diskutieren! Dann mussten vor der Großen Gesellschaftlichen Wende diese schlecht entworfenen, kaum brauchbaren Produkte erst umständlich den potentiellen NutzerInnen angeboten werden. Erst nachdem das eine oder andere dieser fixierten, aber dennoch in Massen hergestellten Entwürfe von ihnen angenommen wurde - oder eben nicht -, stellte sich heraus, ob der Entwurf denn wenigstens einigermaßen nützlich war. Welche Verschwendung von Energie und Ressourcen für Dinge, die vielleicht sowieso keiner haben will!

    Bei meinen BenutzerInnen trudelten dann auch noch per eMail ein paar Nachfragen der Klotopia-Leute ein und es mussten ein paar Kleinigkeiten nochmal diskutiert werden. Aber außer einigen lustigen Stilblüten, die wohl auf das Konto der schlechten Deutschkenntnisse einiger der Klotopia-Leute gingen, war das eigentlich recht unproblematisch. Und dann war der Entwurf fertig für die Materialisation.

    Na, und meine Materialisation war dann eigentlich schnell erledigt. Mein Entwurf lag ja ohnehin schon in computerisierter Form vor, so dass es mit den entsprechenden Programmen nicht weiter schwierig war, diesen Entwurf in Anweisungen an einen Maschinenpark umzusetzen, der letztlich meine Materialisation zu Wege brachte. Und das waren wirklich tolle Maschinen! Die konnten nicht nur Klos herstellen, nein. An einer Stelle wurde z.B. in einer Nachbarmaschine gerade die Grundlage für ein Auto materialisiert. So etwas Verrücktes wie dieses Gefährt habe ich danach übrigens nie wieder gesehen.

    Große Teile meiner materiellen Entstehung bestanden darin, dass die heute weit verbreiteten Materialisatoren aus den Daten meines Entwurfs Werkstücke materialisierten, die dann später mit Hilfe technischer Verfahren in andere, für den konkreten Verwendungszweck besser geeignete Materialien überführt wurden. So wurden einige Teile, die zunächst als Modell in einem speziellen Kunststoff gefertigt worden waren, später in Metall gegossen. Natürlich konnte das Material der Modelle wiederverwendet werden, so dass nur die später tatsächlich benötigten Teile auch tatsächlich aus neuen Ressourcen hergestellt werden mussten.

    Früher muss es dagegen viel stärker spezialisierte Maschinen gegeben haben, die nur ganz bestimmte Dinge herstellen konnten. Na ja, die technische Entwicklung ist halt ziemlich schnell weitergegangen und es ist einfach praktischer, wenige universelle Materialisatoren zu haben als viele hochspezialisierte Produktionsmaschinen. Begünstigt wurde diese Entwicklung damals durch die vielen Freien Projekte, die vor der Großen Gesellschaftlichen Wende aus dem Boden geschossen waren. Da viele dieser Projekte vor allem an Entwürfen für bestimmte Produkte arbeiteten, wuchs der Bedarf nach solchen Materialisatoren immer stärker. Als dann immer mehr Freie Projekte dazu übergingen, sich einen solchen Materialisator anzuschaffen, kamen auch sukzessive immer mehr Freie Produkte auf.

    Als ich dann fertig materialisiert war, kam ich in einen dunklen Kasten und nach einigem Gerumpel - war das Steuerprogramm des Schienentransporters etwa von einem Virus befallen? - habe ich dann das erste Mal meine BenutzerInnen zu Gesicht bekommen. Gekannt habe ich sie ja schon ziemlich gut, da immerhin die Befriedigung einiger ihrer elementarsten Bedürfnisse in mir vergegenständlicht war. Hei, war das eine Freude, als ich endlich vor ihnen stand! Und meine Montage war gar nicht weiter schwer, da die Installationanschlüsse so weit genormt und vereinfacht waren, dass jeder Mensch mich mit ein paar Handgriffen montieren kann.

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Oekonux/Introduction/SlidePerspectivesUtopianToilet/De (last edited 2006-08-17 19:09:06 by StefanMerten)

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